Biologische Medientheorie

Der Stickstoff-Kreislauf und seine Medien

Lebewesen wohnen. Sie wohnen in Umgebungen und sind sich wechselseitig Umgebung. Umgebungen haben eine andere Logik als Programme.

Die Biologische Medientheorie spricht Umgebungen als Medien an. 1876 übersetzte Arnold Lang den Schlüsselbegriff von Jean-Baptiste Lamarcks „Philosophie Zoologique“ (1809): les milieus, als: „Die Medien“.* Aus ihnen ereignen sich:

Tiere  Pflanzen  Pilze
Protozoa
und  Bakterien .

Diese fünf Reiche sind das Reale aller Biologischen Medientheorie.

Medien aber gehen als solche und direkt in moderne biologische Wissenschaften ein: als die Vollmedien, Halbmedien, Minusmedien der Mikrobiologie. Die Mikrobiologie, das Wissen von Einzellern ohne Kern (Prokaryota alias Bakterien) und Einzellern mit Kern (Eukaryota alias Protozoa und Algen) und Viren (oder Phagen, den Viren der Bakterien), ist eine Leitwissenschaft der Biologischen Medientheorie. Ihr Lehrbuch ist die jeweils letzte Auflage von BROCK Biology of Microorganisms (Pearson).

Entscheidende, naturphilosophische Fragen der Zukunft werden mikrobiologisch sein: Stoffkreisläufe, food web dynamics, Grenzen des Organismus-Begriffs, microbial ecologies, Symbiosen (bis hin zum größten Sprung der Evolution: Entstehung von Einzellern mit Zellkern) oder die evolutionären, auch geschichtlichen Kommunikationen von Bakterien und Viren und Vielzellern.

In diesem Horizont fragt die Biologische Medientheorie nach den Medien biologischen Wissens. Medientechnisch entfalten sie sich in einer  Dreiheit von
                   in vivo  – in vitro – in sílico .
(
In sílico heißen am Computer entwickelte Daten, Modelle, Simulationen biologischer Wissenschaften. )

In dieser Dreiheit wird das Wissen von den Lebewesen selbst zu einer Umgebung der Lebewesen – vice versa. Das „wissenschaftliche Denken als planetare Erscheinung“ sprach Vladimir I. Vernadskij in den 1930er Jahren als Noosphäre an, Jacques Lacan sprach 1969/70 von der Alethosphäre, die Mikrobiologin Lynn Margulis 2009 bescheiden von inclusive historicity. –

Seit 2020 ist auch die Lage der Biologischen Medientheorie eine andere geworden. Die Pandemie machte es unübersehbar, daß sich die fortgeschrittensten Medien in vivo in vitro in sílico jetzt im technischen Zugriff auf Proteine versammeln. Genetic engineering, das ist: dreidimensionale Topologien von Proteinkomplexen, erforscht über Cryo-Elektronen-Mikroskopie; Algorithmen in silico, die in der ersten Dimension von Proteinen endlose Serien von 20 Buchstaben vergleichen; molekulare Techniken zur Herstellung von Chimären-Viren, getestet in vivo, usw.: Das ist der durch die Pandemie entborgene state of the art.**

Darauf muß die Biologische Medientheorie jetzt Antworten finden.

 

* „Die Ursache, die die Organismen belebt, befindet sich in den Medien, die diese Körper umgeben“ (cette cause qui anime les corps qui jouissent de la vie se trouve dans les milieux qui environnent ces corps). Und in der biographischen Einleitung Charles Martins heißt es: „Man wird unwiderstehlich, wie Lamarck, auf die Ansicht hingeleitet, daß die Medien die Organe schaffen und erhalten: verändern sich die Medien, so verschwinden sie für immer.“

** So ist das emblematisch gewordene Protein des pandemischen Zeitalters – seines Namens Spike, seines Zeichens S – das biologische Medium, in dem sich die Proteine eines Virus und die Proteine einer eukaryotischen Zelle erkennen, und in dem die Verschmelzuung von Membranen stattfindet, die eine Zelle für den Eintritt des viralen Makromoleküls aus Nucleinsäuren öffnet – der Blaupause für das parasitische Werk der Reproduktion eines Virus in eukaryotischen oder prokaryotischen Zellen, sprich: Infektion.